Aus dem Archiv: Fotos zwischen Mut und Gefahr – Nasser Alzayed und der syrische Bürgerkrieg

Aus dem Archiv

Als erster Beitrag unseres neuen Formats „Aus dem Archiv“ präsentieren wir einen Text aus dem Jahr 2017, der die bewegende Geschichte von Nasser Alzayed erzählt – einem Fotografen und Überlebenden aus Daraa, der den Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs dokumentierte. Seine Bilder zeigen den Mut und die Schrecken einer Zeit, die für viele verloren schien. Auch heute, mehr als ein Jahrzehnt nach Beginn des Konflikts, prägen Krieg, Flucht und humanitäre Not die Situation in Syrien weiterhin. Noch immer kämpfen Menschen wie Alzayed und seine Familie ums Überleben, und die Hoffnung auf Frieden bleibt ein fernes Ziel. Dieser Bericht verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und macht eindrücklich klar, warum der Syrien-Konflikt uns alle betrifft.

Daraa – die Stadt, in der alles begann

Nasser Alzayed ist Fotograf und Journalist – und Überlebender. Als in seiner Heimatstadt Daraa im Jahr 2011 der syrische Bürgerkrieg ausbrach, war er noch Student. Heute lebt er in Hamburg. Seine Geschichte ist die eines jungen Mannes, der sich gegen ein Regime stellte, der die Schrecken des Krieges dokumentierte – mit Bildern, die nicht gezeigt werden sollten.

Daraa, im Südwesten Syriens gelegen, war der Ausgangspunkt der Proteste gegen das Assad-Regime. Hier ist Alzayed geboren und aufgewachsen. Er besuchte die Schule, machte sein Abitur, begann ein Studium in Software Engineering. Doch mit Ausbruch des Krieges endete sein Studium – und ein anderes Kapitel begann.

Mit der Kamera gegen das Regime

Schon früh engagierte sich Alzayed gegen die Diktatur. Erst alleine, dann als Mitglied der Syrian Revolution Coordination Union, der ersten politischen Organisation der Revolution. Später arbeitete er beim oppositionellen Mediennetzwerk SMO, das sich sowohl gegen das Assad-Regime als auch gegen den Islamischen Staat wandte. Seine Aufgabe: filmen, dokumentieren, fotografieren.

„Wäre ich inhaftiert worden, hätten sie mich wohl hingerichtet“, sagt er heute. Seine Arbeit war gefährlich, seine Bilder kompromittierend. Er fotografierte, was das Regime unsichtbar machen wollte – Zerstörung, Proteste, Tote.

Flucht über die Balkanroute

2015 musste er Syrien verlassen. Die Flucht führte über die Türkei und die Balkanroute nach Deutschland. 2.500 Dollar zahlte er an Schlepper. „Ich war eigentlich dagegen, Syrien zu verlassen. Ich hatte das Gefühl, mein Land im Stich zu lassen“, sagt er. Aber es blieb ihm keine Wahl. Zunächst lebte er in Berlin, später zog er nach Hamburg. In Syrien arbeitete er unter einem Pseudonym – niemand kannte seinen wahren Namen. „Für alle war ich nur Hamza.“

Familie in Gefahr

Seine Familie floh erst Jahre später aus Daraa. Die Lage verschärfte sich, auch Russland und Iran mischten sich in die Kämpfe ein. Heute leben seine Eltern und sieben Geschwister in der Türkei – unter prekären Bedingungen. „Ich weiß nicht, ob sie jemals nach Deutschland kommen können. Ich mache mir große Sorgen.“

Fotografieren als Überlebensstrategie

Die Fotografie wurde für ihn zur Sprache in der Sprachlosigkeit. „Beim Fotografieren kann ich mich ausdrücken, ohne ein einziges Wort zu sagen.“ Schon als Kind spielte er mit der alten analogen Kamera seines Vaters. Während der Revolution entstanden die ersten Reportagen – Porträts, Straßenszenen, Aufnahmen aus dem Alltag im Ausnahmezustand.

Verletzt im Bombenhagel

Bei einer Reportage in Daraa wurde Alzayed von Assads Soldaten entdeckt. „Sie schossen aus einem Panzer. Eine Bombe explodierte direkt vor mir.“ Die Druckwelle war verheerend. Er verlor auf einem Ohr das Gehör, Blut lief aus Mund und Ohren. Es gab kein Krankenhaus mehr, keine medizinische Hilfe. Erst in Deutschland konnte sein Ohr operiert werden – heute kann er wieder hören.

Journalistische Arbeit im Exil

Neben der Fotografie schreibt Alzayed – auf Arabisch. Für Amnesty International verfasste er Artikel über Daraa und den Krieg. In der Türkei traf er sich mit Anwälten, lieferte Informationen, unterstützte die Menschenrechtsarbeit vor Ort.

Engagement in Hamburg

Heute engagiert er sich ehrenamtlich in der Freien Deutsch-Syrischen Gesellschaft, die 2012 in Hamburg gegründet wurde. Als stellvertretender Vorsitzender setzt er sich für Menschenrechte, Demokratie und Frieden ein. „Wir leisten Aufklärungsarbeit, organisieren Hilfseinsätze, bieten medizinische Unterstützung.“

Ein Kopf, der nicht zur Ruhe kommt

Doch sein Herz ist weiter in Syrien. „Ich verfolge jede Nachricht, lese alles. Mein Kopf ist nicht frei.“ Das Lernen fällt ihm schwer, selbst die deutsche Sprache. Und doch hat er einen Plan: Er möchte Medizintechnik studieren – um später Menschen zu helfen, die im Krieg ihre Gliedmaßen verloren haben. Dafür muss er zunächst die C1-Prüfung bestehen. „Es wird nicht einfach.“

Ein Wunsch: Freiheit für Syrien

Was es braucht, damit Syrien Frieden findet? Alzayed ist sich sicher: „Assad muss gehen. Russland, Iran, der IS und Al-Qaida ebenso.“ Erst wenn die Gewalt das Land verlässt, könne auch die Hoffnung zurückkehren. „Ich vermisse meine Heimat. Jeden einzelnen Tag.“

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