Mit ihrer Kamera berichtete sie über Umweltzerstörung, Korruption und Polizeigewalt in Aserbaidschan, jetzt sitzt sie in Baku im Gefängnis: Die junge Journalistin Nargiz Absalamova übte ihren Beruf unerschrocken, hartnäckig und mit viel Mut und Engagement aus, bis sie Ende November 2023 festgenommen wurde. Am 20. Juni dieses Jahres dann das Urteil: Acht Jahre Haft. Die Vorwürfe: Schmuggel, Geldwäsche, Urkundenfälschung. Nargiz Absalamovas Fall steht nun exemplarisch für den dramatischen Verfall der Pressefreiheit im Land. Dies ist der erste Beitrag der neuen Reihe „Kritischer Fotojournalismus weltweit“.
Wer in Aserbaidschan kritische Berichterstattung betreibt, lebt gefährlich. Eine dieser mutigen Journalisten ist Nargiz Absalamova – sie ließ sich von der autoritären Regierung unter Präsident Ilham Aliyev nicht einschüchtern, recherchierte intensiv und furchtlos vor allem zu Themen aus den Bereichen Umwelt und Gesundheit, Menschenrechte, Korruption und Polizeigewalt. Ihr Arbeitgeber: Abzas Media, ein unabhängiges, gemeinnütziges Medienunternehmen, gegründet im Jahr 2016 und spezialisiert auf investigative, kritische Berichterstattung. Ihre Mitarbeit dort begann im Jahr 2021. Zuvor war sie bereits für diverse namenhafte und unabhängige Online-Medien in Aserbaidschan aktiv, darunter MikroskopMedia, Toplum TV und Gazette.
Korruption und Machtmissbrauch
Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit bei Abzas Media waren die Recherchen zu Korruption und Machtmissbrauch in Aserbaidschan. Dabei ging es vor allem darum, wie enge Verbindungen zwischen Regierungsbeamten und Familienmitgliedern des Präsidenten Ilham Aliyev bestehen. Ihr Arbeitgeber, Abzas Media, berichtete außerdem über undurchsichtige Aufträge, die mit der Heydar Aliyev Stiftung und der mächtigen PASHA Holding in Zusammenhang standen. Die Heydar Aliyev Stiftung ist eine große Organisation, die nach dem früheren Präsidenten des Landes benannt ist und sich offiziell für soziale und kulturelle Projekte engagiert. Kritiker sehen in ihr jedoch eine eng mit der Regierung verbundene Institution. Die PASHA Holding wiederum ist eines der größten privaten Unternehmen Aserbaidschans, das in Bereichen wie Bankwesen, Industrie und Bau tätig ist und als wirtschaftlich sehr einflussreich gilt. In einer Berichtserie mit dem Titel „Ungeklärte Verbrechen“ wurden zudem mögliche Fehler und Vergehen ehemaliger wichtiger Amtsträger untersucht, darunter der frühere Leiter des U-Bahn-Systems, Verantwortliche von Universitäten sowie hohe Militärs.
Die Proteste in Söyüdlü
Im Juni 2023 berichtete Absalamova umfassend über die Aufstände in dem aserbaidschanischen Dorf Söyüdlü in der Region Gadabay. Die dortigen Dorfbewohner protestierten vehement gegen ein cyanidhaltiges Abfalllager einer nahegelegenen Goldmine. Absalamova initiierte daraufhin unabhängige Wasser- und Bodenanalysen, um mögliche umweltbelastende Folgen der Goldmine zu untersuchen und vor allem offenzulegen. Während ihrer Recherchen dokumentierte Absalamova wiederholt den Einsatz von Polizeigewalt gegen die Demonstranten und stieß auf systematische Versuche, unabhängige Berichterstattung zu unterbinden. Im Zuge dessen wurde beispielsweise ihre Kamera beschlagnahmt, die Speicherkarte mit dem belastenden Material sofort vernichtet und Absalamova unter massiver Polizeigewalt aus dem Dorf gebracht.
Vorwurf: „Schmuggel in organisierter Form“
Diese Berichterstattung brachte ihr internationale Aufmerksamkeit – und kurz darauf strafrechtliche Verfolgung. Am 23. November 2023 wurde Absalamova zunächst von der Polizei in Baku als Zeugin im Verfahren gegen Abzas Media befragt. Doch nur eine Woche später, am 30. November, änderte sich ihr Status überraschend: Sie wurde bei einer weiteren Vorladung nicht mehr als Zeugin, sondern als Verdächtige festgenommen. Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, gemeinsam mit anderen Journalisten Schmuggel begangen zu haben – laut Anklage nach Artikel 206.3.2 des aserbaidschanischen Strafgesetzbuches, der „Schmuggel in organisierter Form“ unter Strafe stellt. Mehrere internationale Menschenrechtsorganisationen bezeichnen diesen Vorwurf als unbegründet und politisch motiviert.
Gewalt im Gefängnis
Es folgten Monate in Untersuchungshaft, geprägt von Besuchsverboten, eingeschränktem Kontakt zur Außenwelt und Berichten über massive Misshandlungen und Gewaltanwendungen. Im März 2025 wurde bekannt, dass sie von einer Gefängnisaufseherin bewusst körperlich verletzt wurde – ein Vorfall, der laut Abzas Media öffentlich gemacht wurde, jedoch keinerlei weitere Konsequenzen für das Gefängnispersonal hatte. Im Sommer 2024 wurden die Anklagen dann erheblich erweitert: Vorwürfe von Geldwäsche, illegalen Unternehmertum, Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung wurden laut. Nach einer Einschätzung von Amnesty International einzig mit dem Ziel, kritische Stimmen mundtot zu machen und nachhaltig einzuschüchtern.
Ein Urteil als Warnung
Vor wenigen Wochen, am 20. Juni 2025, wurde schließlich das Urteil gesprochen: Acht Jahre Haft für Absalamova. Gemeinsam mit weiteren Abzas-Media-Journalisten, darunter die Chefredakteurin Sevinj Vagifqizi und der Direktor Ulvi Hasanli, wurde sie wegen der oben genannten Vorwürfe
verurteilt. Internationale Organisationen reagierten prompt und verurteilten diese Vorgehensweise scharf: Reporter ohne Grenzen (RSF), Human Rights Watch und der Europarat bezeichneten das Urteil als „politisch motiviert“ und forderten die sofortige Freilassung.
Pressefreiheit in Aserbaidschan: Lage und Zahlen
Aserbaidschan zählt zu den repressivsten Ländern Europas, was die Medien- und Pressefreiheit betrifft. Im Pressefreiheitsindex 2025 von Reporter ohne Grenzen liegt es auf Platz 167 von insgesamt 180.
Aktuell befinden sich rund 30 Journalisten im Gefängnis – damit steht Aserbaidschan europaweit an zweiter Stelle hinter Belarus. Die meisten Festnahmen betreffen Mitarbeitende unabhängiger Online-Medien wie Abzas Media, Toplum TV oder Meydan TV. Internationale Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International sprechen von einer gezielten Kampagne gegen regierungskritische Berichterstattung, die Ende 2023 ihren Höhepunkt erreichte und bis heute anhält.
Stimme einer Generation
Nargiz Absalamova gilt als Vertreterin einer jungen Generation von Journalistinnen und Journalisten in Aserbaidschan, die trotz politischer Repression recherchieren und Missstände aufdecken. Mit ihrer Kamera dokumentierte sie gesellschaftliche Konflikte und staatliches Handeln – für viele bot ihre Arbeit damit einen seltenen Einblick in kritische Entwicklungen im Land. Nach ihrer Festnahme richtet sich nun internationale Aufmerksamkeit auf ihren Fall und auf die Lage der Pressefreiheit in Aserbaidschan.

