Er hat über 110 verschiedene Kameramodelle zuhause und ein eigenes Fotolabor: Peter Becker aus Halle blickt auf eine langjährige, vielseitige fotografische Reise zurück. Angefangen mit einer Voigtländer Vito von seinem Vater in der Kindheit entdeckte er früh die Faszination für die analoge Fotografie – geprägt von handwerklicher Präzision und bewusster Bildgestaltung. Trotz der technischen Möglichkeiten der digitalen Fotografie bleibt für ihn das bewusste und entschleunigte Arbeiten mit Film und klassischen Kameras, wie beispielsweise der legendären Leica M, ein unverzichtbarer Teil seines künstlerischen Schaffens. Im Interview erzählt Becker, wie und warum ihn die analoge Technik bis heute inspiriert und welche charakteristischen Elemente seine Arbeiten kennzeichnen.
Was hat Ihren Weg zur Fotografie geprägt, und wie begann Ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Medium Foto?
Ich war in etwa acht, neun Jahre alt, als mein Vater mir seine Kamera in die Hand gedrückt hat. Es war ein Model aus der Kamerafamilie Voigtländer Vito. Ich war neugierig, habe durch den Sucher geschaut und eher zufällig, intuitiv fotografiert. Ich weiß noch, das allererste Foto, was ich überhaupt gemacht habe, war von meinen Eltern. Da ich zu dem Zeitpunkt jedoch noch überhaupt kein Gespür für das Handling einer Kamera hatte, waren die Köpfe auf dem Bild abgeschnitten. Und trotzdem hat sich das Fotografieren gut angefühlt, die Kamera hat mein Interesse geweckt.
Was waren weitere entscheidenden Stationen auf Ihrem Weg zur Fotografie?
Der Kunstlehrer an meiner damaligen Schule war Hobbyfotograf. Irgendwann, ich war so in der achten oder neunten Klasse, hat der Hausmeister den Keller der Schule entrümpelt, darunter befand sich auch ein Raum mit Strom- und Wasseranschluss. Unser Kunstlehrer hat nicht lange gezögert und gemeinsam mit dem Hausmeister dort ein Fotolabor eingerichtet. Das war der Startschuss für eine Foto-AG, in der uns der Kunstlehrer Schritt für Schritt an die analoge Fotografie herangeführt hat.
Welche Bildmotive oder Sujets wurde im Kontext dieser AG schwerpunktmäßig erarbeitet?
Natürlich hat unser Kunstlehrer versucht, uns beizubringen, Fotos mit Aussage zu machen und nicht einfach so drauf los zu knipsen. Er wollte, dass wir uns vorher, bevor wir bewusst auf den Auslöser drücken, Gedanken um das Motiv machen. Meine Klassenkameraden und ich haben also die Gegend um die Schule mit der Kamera neu entdeckt und erkundet. An eines meiner Motive erinnere ich mich noch ganz genau, es entstand in einem kleinen Waldstück, dort hatte jemand eine Fantadose achtlos weggeworfen. Ich habe diese mit der Kamera in Szene gesetzt. Dieses Bild habe ich heute immer noch, es hat zahlreiche Umzüge überstanden und von Zeit zu Zeit schaue ich es mir an und denke an meine fotografischen Anfänge zurück. Es ist technisch nicht perfekt, die Coladose befindet sich direkt in der Mitte, damals wusste ich noch nichts vom Goldenen Schnitt oder etwa der Drittel-Regel. Vieles war einfach simples Ausprobieren, aber ich glaube, so lernt man ja am meisten. Auf jeden Fall hat diese Foto-AG meine Leidenschaft und die Hingabe zur Fotografie entfacht.

An welche analogen Kameramodelle aus Ihrer frühen fotografischen Praxis erinnern Sie sich besonders?
Ich hatte zuerst eine Kinax, das ist eine recht große 6X9-Rollfilm-Kamera zum vorne ausklappen. Mit der Kinax habe ich in etwa ein halbes Jahr geübt und mich weiter ausprobiert. Das Problem: Die Rollfilme waren schon damals recht teuer, hinzukommt, dass die Kinax etwas unhandlich gewesen ist. Mir war dann schnell klar, dass ich gerne eine andere Kamera hätte. Also habe ich mein ganzes Taschengeld gespart und meinem Kunstlehrer schließlich seine alte Edixa für 20 Mark abgekauft. Für mich begann jetzt eine Zeit, in der ich wirklich ganz bewusst fotografiert habe, das heißt, ich habe mir Gedanken zum Bildaufbau, zur Ästhetik und Bildsprache gemacht.
Worauf lag damals Ihr thematischer und gestalterischer Fokus bei der Motivwahl?
Ich habe meine Freizeit damals fast komplett im Zoo verbracht, habe mich mit den Tierpflegern angefreundet und durfte manchmal sogar mit in die Gehege der Tiere. So lag es nahe, diese zu fotografieren. Es sind unzählige Bilder von Giraffen und Lamas, Pinguinen und Flamencos entstanden, die ich anschließend in dem Fotolabor in der Schule selber entwickelt habe, überwiegend in Schwarz-Weiß. Die Leidenschaft für die Tierfotografie ist bis jetzt geblieben, heute fotografiere ich bevorzugt Pferde, am liebsten draußen in der freien Natur, in Bewegung, in ihrer natürlichen Umgebung.

Könnten Sie die wesentlichen Phasen bei der Entwicklung eines Schwarz-Weiß-Films beschreiben?
Ein analoger Film wird in mehreren Schritten entwickelt, damit aus den belichteten Bildern Fotos entstehen. Zuerst wird der Film in einen Entwickler gelegt, der die belichteten Stellen sichtbar macht. Danach folgt ein Stoppbad, das die Entwicklung anhält. Im Fixierbad werden die unbelichteten Silberverbindungen entfernt, sodass der Film lichtbeständig wird. Anschließend wird der Film mit Wasser gespült, um Chemikalienreste zu entfernen. Ein Netzmittelbad verhindert Wasserflecken beim Trocknen, danach wird der Film an einem staubfreien Ort aufgehängt. Bei Farbfilmen gibt es noch zusätzliche Schritte für die Farbabwicklung. Das Faszinierende daran ist, dass man vorher nie weiß, wie die Bilder schlussendlich aussehen.
Mit dem Aufkommen der ersten Digitalkameras Anfang der 2000er Jahre: Haben Sie den Wechsel zur digitalen Fotografie damals unmittelbar vollzogen?
Mich hat das Digitale damals vor allem technisch interessiert. Zunächst fotografierte ich noch analog, bis mich Kunden ansprachen, dass es digital doch viel schneller gehen würde. Also habe ich mir zunächst eine Kodak zum Ausprobieren gekauft, bin dann schnell auf die Olympus E‑20P umgestiegen, einer 5,2‑Megapixel-Kompaktkamera mit CCD-Sensor, für 2.350 Euro. Ich habe die auf Pump gekauft und mit einer monatlichen Rate abbezahlt. Zum damaligen Zeitpunkt war ich viel in den Reitställen in der Umgebung unterwegs, habe unzählige Pferde gegen Bezahlung fotografiert und ein Gewerbe als Fotograf angemeldet. Viele meiner Kunden waren einfach nicht mehr bereit, um die sieben, acht Tage auf ihre Fotos zu warten, wenn diese doch mit einer digitalen Kamera sofort verfügbar wären. Diesem Argument gibt es natürlich wenig entgegenzusetzen, außer vielleicht der Aspekt, dass gerade der Anmut und die Ästhetik eines analog fotografierten Schwarz-Weiß-Bildes mit der digitalen Technik nur schwer zu erreichen ist. Ich persönlich habe die analoge Fotografie genau aus diesem Grund nie aufgegeben.
Gibt es eine bestimmte Handschrift oder gestalterische Linie, die Ihre fotografische Arbeit kennzeichnet?
Das hängt immer davon ab, ob ich analog oder digital, in Farbe oder in Schwarz-Weiß fotografiere und natürlich auch davon, welche Kamera, welches Objektiv und welches sonstige Equipment ich verwende. Ich fotografiere beispielsweise zurzeit unglaublich gerne mit einer sogenannten Camp Snap Camera. Das ist so ein Hybrid-Model, eine kleine minimalistisch-digitale, bildschirmfreie Kamera, entwickelt, um das analoge Erlebnis in die digitale Welt zu übertragen. Die Bilder, die mit dieser Kamera entstehen, haben etwas leicht Mystisches, Geheimnisvolles. Mit meiner Camp Snap Camera war ich beispielsweise viel im Wald unterwegs, die aufgenommenen Szenarien sind rätselhaft, vielleicht sogar verwunschen. Auf jeden Fall lassen sie viel Raum zur Interpretation. Das gefällt mir. Meinen Stil am meisten geprägt, hat jedoch die Leica M. Das „M“ steht für Messsucher, es ist also eine spiegellose Kamera und die Art, wie man durch den Sucher schaut und fokussiert, ist ganz, ganz anders, als wie bei einer Spiegelreflexkamera. Denn mit der Leica M sieht man klar und deutlich die Realität und eben kein gespiegeltes Bild. Man schaut mit ihr also direkt in die Welt. Diese Kamera gilt als eine der renommiertesten Messsucherkameras weltweit und ist bekannt für ihre kompromisslose Qualität, die kompakte Bauweise und das klassische Design. Bilder, die ich mit der Leica M gemacht habe, sind etwas ganz Besonderes.

Wie viele Kameras befinden sich aktuell in Ihrem Besitz?
Insgesamt sind es an die 110. Davon benutze ich zehn Stück regelmäßig. Meine älteste Kamera stammt aus dem Jahr 1939, es handelt sich dabei um eine Pilot Super, eine technisch sehr einfache, frühe 6×6-Mittelformat-Spiegelreflexkamera aus Dresden. Ansonsten habe ich einige analoge Minolta-Modelle und natürlich viele Kameras aus dem Hause Leica. Zu meinem absoluten Favoriten unter den digitalen Kameras zählen die Sony A7III sowie die Canon 5d. Ergänzt wird meine Sammlung durch unzählige Objektive, Filter und diverse Lichtformer. Diese Vielfalt ermöglicht es mir, für jedes fotografische Vorhaben das passende Werkzeug auszuwählen und kreativ zu arbeiten.
Zum Abschluss: Was reizt Sie an der analogen Fotografie ganz besonders?
Es ist vor allem die Entschleunigung. Analoge Fotografie zwingt einen zur Ruhe, man fotografiert viel, viel bewusster. Diese Intensität und Wertschätzung machen für mich den unvergleichlichen Charme der analogen Fotografie aus.

